Artikel von Monika Blaser
Im Rahmen meines Masterstudiums bei der FHNW in Olten habe ich die Möglichkeit ein “Semester abroad” zu studieren, was mein Freund und ich seit Anfang September nutzen.
Seit drei Wochen wohnen wir in einem Apartment in Kapstadt, Südafrika. Ziel des Aufenthalt ist es, an der Cape Peninsula University of Technology (CPUT), der technischen Universität in der Provinz Westkap, unsere Masterthesis zu schreiben. An der CPUT sind jährlich rund 35’000 Studierende eingeschrieben. Darunter sind kaum Weisse – laut Statistik der Uni gehören mehr als 90% der ethnischen Gruppen “African” und “Coloured” an. Alles funktioniert hier ein bisschen anders, als wir es gewohnt sind – die ersten Eindrücke pendeln in den Extremen von “ich liebe es!” bis zu “ich hasse es!”.
Auf dem Campus springen mir sofort die vielen Frauen positiv ins Auge. An der CPUT studierten im vergangen Jahr 55% Frauen versus 45% Männer – in der Schweiz waren es nur 18% bis 24% – je nach Studie. Wir geniessen das bunte Treiben während der Mittagspause auf dem frühlingshaften Gelände. Ich lausche begeistert den unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, welche sich problemlos untereinander verständigen können und gemeinsam Spass haben. Wow, es gibt hier 11 (elf!) offizielle Landessprachen. IsiXhosa zum Beispiel, verwendet faszinierende Klicklaute. Ich könnte stundenlang zuhören, ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen.
Wieder in den Gebäuden drin, bin ich schockiert über die Infrastruktur: Büros sind vergittert, einige Scheiben sind eingeschlagen und die Toiletten eine Katastrophe. Das WiFi auf dem Campus unterbricht ständig – so könnte man in der Schweiz nicht arbeiten! So sehen wir in den Classrooms und auf den Gängen nur Bücher, Kopien und Notizzettel. Am ersten Tag auf dem Flur werden wir von einem Afrikanischen Studenten angesprochen – woher wir seien will der junge Mann wissen. Das Microsoft Surface unter dem Arm meines Freundes hat uns als Ausländer verraten – die Surfaces werden nämlich in Südafrika nicht verkauft, meint der junge Mann, sichtlich neidisch.
Auch betreffend Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit ist die Mentalität der Locals anders als bei uns in der Schweiz. Während dem vereinbarten Termin mit dem Professor klopft es an der Türe und eine weitere Studentin tritt ihren Termin an. Verdutzt meint er zu ihr: “Oh!… You’re here?! Do we have an appointment?” Der Folgetermin mit uns wird vom Prof kurzfristig abgesagt und wir sind umsonst zum Campus gelaufen. “Wie soll ich so meinen Terminplan einhalten?”, meckere ich ungeduldig rum. “Er hat doch just now gesagt!” Das Internet verrät mir später, dass dieser Ausdruck auch morgen oder gar nicht bedeuten kann… Paradoxerweise hege ich gleichzeitig eine grosse Begeisterung – und auch ein bisschen Neid – für diese Ruhe und Gelassenheit, welche die Südafrikaner an den Tag legen. Ich fühle hier viel weniger Stress und Hektik, was wir in der Schweiz auch gebrauchen könnten.
Neulich sitzen wir nach dem Arbeiten an der Thesis bei Burger und Bier in der Brasserie und sinnieren über unterschiedliche Möglichkeiten in Südafrika und der Schweiz. Wählen in der Schweiz so viele Männer einen technischen Beruf, wegen der tollen Infrastruktur? Oder anders formuliert, motivieren schlechte Rahmenbedingungen Frauen dazu, etwas zu verändern? Gibt es in Südafrika mehr Frauen in MINT-Studiengängen, weil die Arbeitslosenquote bei denselben tiefer ist? Ein technischer Beruf bietet mehr Sicherheit und somit auch Freiheiheit – ist das der Grund für den unterschiedlichen Frauenanteil?
Schnell wird klar, dass wir in der Schweiz so unheimlich viele Möglichkeiten haben und dass es wohl nirgends auf der Welt bessere Bedingungen gibt. “Jammern auf hohem Niveau” und “im goldenen Käfig sitzen” sind Gesprächsfetzen, die fallen. Jeder Mensch hat in der Schweiz mehr oder weniger die gleichen Voraussetzungen. Im Schweizer Bildungssystem und den Quereinsteigerprogrammen ist praktisch alles möglich.
Da sind wir wieder, in den Extremen: Ich liebe die perfekten Rahmenbedingungen in der Schweiz! Aber ich hasse es, dass sie so viel Bequemlichkeit mit sich bringt, welche uns manchmal daran hindert, etwas zu verändern.