In Vietnam sind Frauen gleichberechtigt – auf dem Papier. Leider sorgen die kulturellen Wurzeln jedoch nach wie vor für eine starke Ungleichheit. Seit 2006 gibt es diverse Anstrengungen, Frauenrechte auch praktisch zu stärken. Aber wie sieht die tagtägliche Realität aus? Mein ganz subjektiver Eindruck.
Ich hatte grade das Glück vier Wochen durch Vietnam zu reisen. Vier Tage war ich rund um Sa Pa unterwegs, einer mittlerweile recht bekannten Trekking Destination. Meine Trekking Tour habe ich über Sapa Sisters gebucht, ein Unternehmen von Frauen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, nur weibliche Guides einzustellen, damit sie mit ihrem Einkommen die eigene Position in Familie und Gesellschaft stärken. Für mich also quasi Ehrensache mich für diesen Anbieter zu entscheiden.
Ich habe mich drei Tage Chi anvertraut, einer 21-jährigen Frau. Chi ist verheiratet und hat einen kleinen Sohn von 14 Monaten. Kleines Detail: Geboren hat sie ihn direkt im Anschluss nach einem Treck. Und nach wenigen Wochen hat sie das Trekking wieder aufgenommen, einfach mit dem kleinen Sohn auf dem Rücken. So weit, so gut.
“How you met your husband?” frage ich zum Warm-up. Und schon hier wird es zunehmend irre. Sie hat ihn auf der Hochzeitsfeier einer Freundin kennengelernt – und er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie hat allerdings abgelehnt. Hat er dann um sie geworben? Sie doch für sich gewinnen können? Ach was. Er hat sie gekidnappt. Ganz einfach. Sie hat versucht wegzulaufen, ist wieder eingefangen worden. Hat ihre Eltern um Hilfe gebeten. Nein, sie müsse ihn nun heiraten. Also hat sie geheiratet. What? “Seriously?” – “Yes.”
Als Tourist lässt man sich sehr einfach über vieles hinweg täuschen: Die Frauen in Vietnam fahren Moped, sie haben ein Smartphone, sie lockern ihre traditionelle Tracht mit Stücken von North Face und Converse Sneakern auf (Fake? Egal). Sie sind in der Region im Norden diejenigen, die ergänzend zur Subsistenzwirtschaft Bares verdienen. Das alles verleitet dazu, ihr Leben für sehr vergleichbar zu unserem westlichen zu halten. Nämlich für selbstbestimmt. Aber in der tagtäglichen Praxis sind ihre Rechte leider häufig einen Dreck wert. Immer noch.
Chi hatte als Kind einen Schulweg von täglich insgesamt sechs Stunden zu Fuss. Nach der Schulausbildung musste sie wieder zurück in den elterlichen Haushalt. Mit dem Ziel, ihre Arbeitskraft zu nutzen und ansonsten sie schnell zu verheiraten. Denn unverheiratet würde sie nach dem Tod der Eltern nur den eigenen Geschwistern auf der Tasche liegen. Eine weiterführende Ausbildung hätte sie nur in Hanoi machen können. Ca. 330 km und eine Nachtzugfahrt entfernt. Das hätten sich ihre Eltern nicht leisten können. Und wozu auch? Ihre Aufgabe ist es letztendlich immer noch zu heiraten, Kinder zu bekommen.
Ist Chi glücklich? Vielleicht glücklicher als so manche Westeuropäerin, die unglücklich in einer Partnerschaft oder in ihrem selbst gewählten Job ist. Vielleicht. Vielleicht hat es auch nur den Anschein, dass sie mit dem zufrieden ist, was sie aus der Situation gemacht hat. Aber wir haben die Freiheit zu wählen. Und diese Freiheit sollte jede Frau in jedem Land haben.
Warum schreibe ich das in unseren WE SHAPE TECH Blog? Weil wir viel daraus lernen können. Wir können das Leben dieser Frauen und Mädchen nicht unmittelbar aber dennoch indirekt verändern:
- Wenn ihr selbst auf Reisen geht, schaut euch nach Anbietern wie den Sapa Sisters um, die Frauen ein Einkommen und damit mehr Einfluss auf ihr eigenes Leben ermöglichen.
- Wenn ihr auf Reisen geht, versucht hinter die Kulissen zu schauen. Fragt genauer nach, um den Hintergrund besser zu verstehen. Weder über die Menschen, die ihr kennen lernt, noch über deren Lebensumstände.
- Und als dritter Tip genau das, was in jedem Reiseführer steht: schenkt kleinen Mädchen kein Geld – auch wenn sie noch so süss um euch werben. Kauft ihnen keine Souvenirs ab. Sie sollen zur Schule gehen und nicht als Strassenverkäuferinnen arbeiten.
Und für euer eigenes Leben: Nutzt, wie sehr ihr euer eigenes Leben in den westlichen Kulturen in der Hand habt. Ja, es gibt diverse Gender Gaps, aber ihr habt jedes Recht auf eurer Seite.
Nutzt es, denn es ist ein unglaubliches Privileg.