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Die inneren Werte zählen – auch in der Sprache

Die inneren Werte zählen – auch in der Sprache

Wie aus dem Nichts – zumindest für mich – steht plötzlich das Thema Sprache ganz oben auf der Agenda. Und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen. Erster Anstoss war ein facebook-Post: “Ich weiss nicht, ob ich schon bereit bin für Martin Schulz als Bundeskanzlerin.” Wunderbar. Für mich ein grosser Schmunzler und eine Erinnerung daran, wie sehr die Chance gewählt zu werden für eine Frau reduziert wird, wenn man bei der Position von vorneherein das Bild eines Mannes im Kopf hat. Umso grösser mein Respekt für Angela Merkel.

Mich hat das daran erinnert, wie sehr ich mich als Kind darüber aufgeregt habe, wenn in meinem Heimatort die Frau des Pastors automatisch mit “Frau Pastor” angesprochen wurde. Aber als wir die erste Pastorin bekamen, konnte niemand damit umgehen, als ich fragte, ob ihr Mann denn jetzt mit “Herr Pastorin” angesprochen würde.

Der nächste Anstoss war dann Su Franke mit ihrem Post zum Thema gendergerechte Sprache und dem entsprechenden Pro und Contra-Austausch in HR-Today zwischen ihr und Prof. Christiane Hohenstein. Während Su Franke stark dafür eintritt, dass Individuum in der Vordergrund zu stellen und nicht die sture Regel, vertritt Prof. Christiane Hohenstein den Standpunkt, wie sehr Sprache unser Bild und damit unser Denken formt.

Und weiter ging es mit dem hervorragenden Video von Mayim Bialik, in dem sie dazu auffordert, dass endlich Frauen nicht mehr als “Girls” bezeichnet werden sollten, weil dieser Diminutiv einfach ein Bild und eine Erwartungshaltung formt. Mein erster Gedanke war, dass ich durchaus Männer als Jungs bezeichne – allerdings nur, wenn sie in Gruppen auftreten. Niemals ein einzelnes Individuum. Und ich gebe zu: wenn ich dann doch einen einzelnen Mann als Jungen bezeichne, ist das sicher kein Kompliment.

Als Deutsche reagiere ich sicher auf bestimmte Dinge in der Sprache sehr sensibel – einerseits wenn es um Begriffe geht, die einfach historisch betrachtet nicht mehr akzeptabel sind: Nein, von “Endlösung” sollte man auch als Schweizer nicht sprechen, wenn man eine langfristige IT-Lösung im Kopf hat. Auch dreht es mir alles um, wenn aus einer Frau plötzlich “s’Mami” wird. Willkommen in der entweiblichten Zone? Woran liegt das eigentlich? Was macht Sprache mit uns?

In einem sehr spannenden Podcast setzt sich die Radiosendung “DLF Hintergrund” mit Political Correctness in der Sprache auseinander. Den Anfang macht das Thema Rassismus: Gesprochen wird hier über Dinge wie z.B. die Entstehungsgeschichte von“10 kleine Negerlein” – bewusst im 19. Jahrhundert entwickelt und eingesetzt, um die europäische Bevölkerung auf den Kolonialismus in Afrika vorzubereiten: dieser Kontinent muss kolonialisiert werden. Kolonialismus sozusagen als moralische Verpflichtung. Man war sich also sehr bewusst wie mächtig Sprache ist.

Wie sehr sich der Umgang mit dem Thema Geschlecht in der Sprache über die letzten 20 Jahre verändert hat, ist beeindruckend. Und so komplex, dass es schon mir schwer fällt, darüber so zu schreiben, dass ich mir nicht selbst ein Bein stelle, denn bei allem muss man sich bewusst sein: die Bedeutung einer Aussage bestimmt nicht nur der Absender, sondern das System aus Absender und Empfänger. Eine Sache ist es, wie ich mich im Gespräch, im Dialog ausdrücke. Eine andere wie ich es schriftlich oder auch als öffentliche Person tue, die im Zweifelsfall nicht die Chance hat, das Gesagte zu korrigieren. Zum Beispiel der unbelehrbare Günther Oettinger. Schon wieder direkt zum Lachen. Wie kann ein gestandener Politiker immer noch solche Faux-Pas begehen?

Was mich an dem Thema jedoch fast am meisten fasziniert: wann führt die Diskussion über die Form eigentlich dazu, dass die Diskussion gar nicht mehr über den Inhalt geführt werden kann? Wann reden wir über die Korrektheit der Form einer Aussage mehr als über die Aussage selbst? Wann fliehen wir aus der Komplexität der Welt in die vereinfachte Sprache? Wann hören wir auf, uns noch wirklich auszutauschen und fokussieren uns nur noch auf Sprechweisen? Gerade in den heutigen Zeiten, in denen der politische Diskurs so wichtig ist wie lange nicht mehr, müssen wir aufpassen, dass sich nicht jede Gruppierung nur noch auf die eigenen Vokabeln reduziert und sofort an die Decke geht, sobald eine Wort oder eine Ausdrucksweise nicht als hinreichend korrekt empfunden wird. Denn auf diese Weise wird das Provozieren zu leicht gemacht und jedes unangenehme Gespräch, das auch interessant und öffnend sein kann, einfach unterbunden.

Sprache ist im Fluss und entwickelt sich weiter. Genau wie unsere Gesellschaft. Häufig bildet sie noch alte Stereotypen ab. Und ja, manchmal muss nachgeholfen werden, um mit diesen zu brechen. Aber wie vielerorts ist eine evolutionäre Änderung möglicherweise nachhaltiger als eine revolutionäre.

Schliessen wir den Dialog also nicht, wenn es unangenehm wird, sondern machen wir auf.

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